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Ernani: Blutige Rache im düsteren Labyrinth der Begierde

Jul 23, 2023 | 0 Kommentare

Konflikte

Die Oper „Ernani“ entführt uns in eine Welt, in der Verlangen und Ehrgeiz in brutalem Einklang miteinander tanzen. Die Geschichte folgt den Schicksalen von vier Hauptfiguren, die von inneren Konflikten und unerbittlichen Begehren gezeichnet sind.

Ernani, ein verstoßener Adeliger, seine Geliebte Elvira, der alte adelige Don Ruy Gomez de Silva und König Carlo. Ihre Schicksalsfäden verknüpfen sich zu einem atemberaubenden Drama, das von Rache, Eifersucht und Leidenschaft geprägt ist.

© Bregenzer Festspiele/ Karl Forster

Spiegel unserer Gesellschaft

„Ernani“ ist eine schwer inszenierbare, ja geradezu uninszenierbare Oper. Vermutlich mit ein Grund, warum sie leider nur so selten gespielt wird.

Regisseurin Lotte de Beer hat sich genau dieser Herausforderung gestellt und überschreitet ganz bewusst Grenzen zum Grotesken. Einzig allein ein stark überzeichnetes Ehrgefühl eint die Figuren. Immer wieder werden sie vor Entscheidungen gestellt. Sie könnten das Richtige tun, die Gewalt beenden, in Frieden leben. Und doch steht ihnen genau dieses Ehrgefühl im Weg. So zieht sich eine blutige Spur durch das ganze Stück. Es wird gekämpft, gefoltert und gemordet. Blut spritzt, Soldaten fliegen durch die Wände – an Brutalität wird nicht gespart. Untermalt wird dies noch durch spektakuläre Kampf-Einlagen von Mitgliedern der Stunt-Factory.

Auf eine sehr skurile Art und Weise hält uns Lotte de Beer einen Spiegel vor und zeigt die Absurdität des Individuums Mensch, oder vielmehr unser tägliches Versagen. Die Unfähigkeit richtige Entscheidungen zu treffen, in Frieden zu leben. Wir schaffen es nicht. Immer wieder halten uns Macht, Stolz und Ehre davon ab, das Richtige zu tun. Wir brauchen nur über unsere Grenze hinaus schauen und sehen, wie real genau diese Geschichte gerade ist. Es ist die Unfähigkeit des Menschen aus vergangenen Fehlern zu lernen. Die Geschichte wiederholt sich immer und immer wieder.

© Bregenzer Festspiele/ Karl Forster

Die Ausstattung des Stückes spiegelt genau all das wider. Wir befinden uns auf einer Art düsteren Scheibe, eines Teiles einer schwarzen Erdkugel, wechselnd mit Grabsteinen oder minimalistischen weißen Papierkulissen, die sogleich mit roten Blutspritzern getränkt werden. Christof Hetzer lenkt damit den Fokus noch mehr auf die Figuren und deren Beziehung. Das Verlangen nach Macht spiegelt sich in einer unnatürlich langen Krone von König Carlos wieder, die, als er zum Kaiser gekrönt wird, von einer noch längeren Krone ersetzt wird. Fast schon lächerlich wirkt er damit.

© Bregenzer Festspiele/ Karl Forster
© Bregenzer Festspiele/ Karl Forster

Ein musikalischer Hochgenuss

Saimir Pirgur brilliert stimmlich mit seinem Tenor zischen Ehrgeiz und Leidenschaft und der Ausweglosigkeit und Verzweiflung. Goran Jurić verleiht der Figur Silva einen sehr authentischen Charakter, indem er stimmlich sowohl die Zerbrechlichkeit des alten Mannes widerspiegelt, als auch die Größe und Stärke vergangener Zeiten nachklingen lässt. Franco Vassallo verleiht Don Carlo mit einem starken, mächtigen Bariton die Macht eines Königs, dennoch mit weichen, edelmütigen Zügen.

Weniger spektakulär, aber dennoch sehr präsent, ausgeglichen und solide – Guanqun Yu als Elvira. 

Eine brillante Leistung lieferten auch Omer Kobiljak als Don Ricardo und Aytaj Shikhalizada als Giovanna ab.

Ernani ist eine Oper in der dramatische Chöre eine nicht unwesentliche Rolle spielen. Hier konnte der Prager Philharmonische Chor wirklich überzeugen. 

Echtes Feingefühl bewiesen die Wiener Symphoniker unter der Leitung von Enrique Mazzola. Musikalisch gelang hier der perfekte Drahtseilakt zwischen perfekt ausbalancierten Klängen und strammer Militärmusik. Auf überausschweifende Elemente wurde bewusst, gekonnt verzichtet.

© Bregenzer Festspiele/ Karl Forster
© Bregenzer Festspiele/ Karl Forster
© Bregenzer Festspiele/ Karl Forster
© Bregenzer Festspiele/ Karl Forster

Nichts für schwache Nerven

„Ernani“ ist eine Oper, die nichts für schwache Nerven ist. Es ist ein brutales, unverblümtes und packendes Werk, das die menschlichen Abgründe erforscht und uns mit der Frage konfrontiert, wie weit wir gehen würden, um unsere Sehnsüchte zu erfüllen und uns an unseren Feinden zu rächen.

Dass sich mutige Entscheidungen bezahlt machen, hat Regisseurin Lotte de Beer auf jeden Fall mit ihrer Inszenierung bereits bewiesen. Es ist schön, dass sich die Bregenzer Festspiele auch immer wieder über Opern hinweg trauen, die sonst nur selten zu hören sind. Genau so sah es auch das Premierenpublikum, das diese groteske und dennoch großartige Inszenierung mit tobendem Applaus würdigte. Eine Opernrarität und echtes Highlight der Bregenzer Festspiele, zu mir nun zum Schluss auch nur mehr ein Wort einfällt: BRAVO!

Thomas Pail

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