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Die Zeit ist aus den Fugen

Jul 29, 2023 | 0 Kommentare

Die Zeit ist aus den Fugen – das ist das Motto der Salzburger Festspiele 2023. Ja, besser könnte man den Zustand unserer Zeit wohl kaum beschreiben. 

Wir erleben gerade eine Zeit, geprägt von Herausforderungen, Ängsten und Veränderungen. Die einen von uns trifft es mehr, die anderen vielleicht weniger. Die Welt war nie gerecht, ist nicht gerecht und wird es auch nie sein. Alles andere wäre nichts als eine romantische Wunschvorstellung. 

Es ist nun jedoch wieder etwas zu spüren, was die letzten Jahre zu wenig vermittelt wurde. Zuversicht. Darf man in Zeiten von Krisen feiern? Darf man in Zeiten von Krisen Freude zeigen? Darf man in Zeiten von Krisen Kunst und Kultur genießen? 

Nach der Festspieleröffnung vergangenes Jahr, war ich mir hier nicht mehr so sicher, wurde hier für mich eher nur das negative in den Vordergrund gestellt. Man hatte schon fast ein schlechtes Gewissen, wenn man sich auf einen schönen Opernabend freute. Dementsprechend düster waren auch die Reden und die Musikauswahl bei der Eröffnung. Ich bin hier mit keinem guten Gefühl hinausgegangen. Darf man in diesen Zeiten überhaupt ein gutes Gefühl haben?

Ja. Man darf. Genau das hat mir die heurige Eröffnung wieder klar gemacht. Wir dürfen wieder mit Zuversicht in die Zukunft schauen. Wir dürfen wieder feiern, Spaß haben und die Kunst genießen. 

Um gleich eines vorwegzunehmen – dieser Festakt zur Festspieleröffnung, war mit der schönste, den ich jemals in Salzburg erleben durfte. Große Reden, die uns zum Einen natürlich die Herausforderungen unserer Zeit vor Augen hielten, andererseits aber zuversichtlich in die Zukunft blicken lassen und eine großartige Musikauswahl, die für mich auch genau das widerspiegelte. Ein Festakt, der seinem Namen auch wieder gerecht wurde. 

Land Salzburg/Neumayr/Leopold

Festspielpräsidentin Christine Hammer

Die Begrüßung erfolgte durch Festspielpräsidentin Kristina Hammer. Sie betonte darin die Bedeutung von Kunst und Kultur angesichts der aktuellen globalen Herausforderungen. Die Welt sei mit Krisen, Konflikten und Klimakatastrophen konfrontiert, was zu Ängsten und Polarisierung führt. Die Kunst bringt Menschen zusammen, regt zum Nachdenken an und fördert Toleranz und soziale Verantwortung. „Kunst legt den Finger in offene Wunden, hält uns den Spiegel vor.“, so die Festspielpräsidentin. Die Festspiele sind Plattform für Dialog und Diskurs, um eine offene Gesellschaft zu bewahren. Zum Schluss ihrer Rede stellte sie sogleich eine Verbindung zum diesjährigen Festredner, dem Nobelpreisträger Anton Zeilinger her: „Wenn Realitäten positiv und negativ zur gleichen Zeit sein können, dann trägt auch eine aus den Fugen geratenen Welt weiterhin das Potenzial ins sich, ein guter Ort für alle zu werden. Zuversicht. Es wird nicht zuletzt die Kunst sein, die uns hilft, diese Kraft in uns zu erschließen.“

Land Salzburg/Neumayr/Leopold

Landeshauptmann Wilfried Haslauer

„Es gibt keine Wunder. Unsere Zeit hat die Wunder abgeschafft; alles was nicht rational, naturwissenschaftlich, physikalisch, chemisch erklärbar und gentechnisch nachvollziehbar ist, findet nicht statt, darf auch gar nicht sein, weil es unsere auf Vernunft und Wissenschaft gegründete aufgeklärte Gedankenwelt in Unordnung bringen könnte. Wir sind damit klüger, wohl aber auch ärmer geworden.“ In seiner Rede bei der Eröffnung der Salzburger Festspiele 2023 geht Landeshauptmann Wilfried Haslauer auf die Bedeutung von Wundern in unserer Zeit ein und das mit beispielhaften Geschichten wie dem Überleben der Kinder nach dem Flugzeugabsturz im kolumbianischen Urwald, der literarische Erzählung „Tod des Kleinbürgers“ von Franz Werfel und der Heilungen in Lourdes. Er ruft dazu auf, inmitten der Herausforderungen und der Hektik des modernen Lebens die „Passwörter unseres Lebens“ wie Würde, Freude, Dankbarkeit, Hoffnung und Glaube zu suchen. „Lassen Sie uns wieder staunen ob der Schönheit der Welt, des Hörens, Sehens und Fühlens, egal ob physikalisch erklärbar oder nicht. Lassen Sie uns auch Zuflucht finden im Wunder der Liebe, der Vergebung, der Hilfsbereitschaft, eines kleinen Lächelns und des Guten, das jeder Mensch in sich trägt und reden wir miteinander mit bedachten Worten, die Brücken zwischen uns bauen.“, so der Landeshauptmann. Zudem ermutigt er die Menschen, sich für die Wunder der Kunst zu öffnen und so auch die Salzburger Festspiele zu genießen. „Lassen wir uns von Werken faszinieren, deren Entstehen uns das größte Wunder überhaupt vor Augen führt: Dass wir Mensch sein dürfen!“

Land Salzburg/Neumayr/Leopold

Vizekanzler und Kulturminister Werner Kogler

„Die Zeit ist aus den Fugen.“ In seiner Rede beschreibt Vizekanzler Werner Kogler die gegenwärtige globale Lage als von Krisen geprägt und betont die Dringlichkeit, universelle Zusammenhänge zu hinterfragen und Probleme wie die Jahrhundertpandemie, den russischen Angriff auf die Ukraine, Energiesicherheit, Lieferengpässe, Lebensmittelknappheit, Inflation und die mediale Transformation anzugehen. Kogler ruft dazu auf, der Krisenstimmung standzuhalten und nicht einfachen Parolen zu verfallen, sondern komplexe Probleme zu verstehen und an Lösungen zu arbeiten. Er mahnt zum Schutz der liberalen Demokratie vor autoritärem Gedankengut und betont die Bedeutung von Kunst und Kultur, um Traditionen zu reflektieren, Kritik zu üben und Neues zu wagen. Die Werte Freiheit, Selbstbestimmung, Menschlichkeit und Zusammenhalt seien eine fundamentale Grundlage, die es zu verteidigen gilt. Er fordert eine neue „Allianz für die Aufklärung“ in Europa, die sich gegen Desinformation und autoritäre Kräfte stellt. Die Kunst wird dabei als wichtiger Partner betrachtet, der ein umfassendes Bild der Gesellschaft vermitteln kann. „Die Zeit war immer schon aus den Fugen. Die Welt wird auch nicht mehr sein wie früher. Wir müssen aber nicht taumelnd in die Vergangenheit flüchten. Wir lassen uns schlichtweg die Zuversicht nicht nehmen.“, so der Vizekanzler.

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Nobelpreisträger Anton Zeilinger

„Ist die Wahrheit eine Frage der Mehrheit?“ Dies war eine zentrale Frage, die Nobelpreisträger Anton Zeilinger in seiner Festrede aufwarf und die auch mich kurz zum Nachdenken brachte. Eine Antwort darauf kam prompt. Albert Einstein habe seine Theorie der Lichtquanten entgegen der Meinung der Mehrheit der damaligen Wissenschaftler aufgestellt. Die sich daraus ergebende Folge, ist uns allen gut bekannt – er hat später dafür den Nobelpreis erhalten. Die Rede Zeilingers war generell sehr von Gesellschafts- und Wissenschaftskritik geprägt. Man müsse „das Ungewöhnliche finden“ und „für das Unvorhersehbare offen sein.“, so Zeilinger. Er selbst finde es „unheimlich“, wenn andere behaupten, die Zukunft zu kennen. Hätte er damals, als er sein Forschungsfeld gewechselt hat, bereits konkrete Forschungsfragen und Ziele definieren müssen, hätte der den Nobelpreis nie bekommen, führt Zeilinger in seiner Rede aus und übt damit auch Kritik an unserem Ausbildungssystem. Ebenso betonte er die Wichtigkeit der Grundlagenforschung, da ohne diese auch keine Innovationen möglich wären. Kritisch steht er auch der Ausgrenzung internationaler Kooperationen und Zusammenarbeiten mit Ländern wie Russland und China gegenüber, nur weil in diesen Ländern Regime herrschen, die nicht unseren westlichen Werten entsprechen. Kunst und Wissenschaft sei aber immer schon ein verbindendes Element gewesen und wäre gerade in diesen Fällen wichtiger denn je. Wir müssten weg von zu detaillierten Regeln und zu viel Bürokratie, hin zu mehr Kreativität und Begeisterung für die Sache. Hinsichtlich der Kunst, insbesondere der Musik führte er weiter aus, dass man nicht immer alles zu sehr an das Heute anpassen muss, da dadurch oft der Sinn und Zeitgeist verloren ginge, der von den Schaffern der Werke angedacht war. Die Musik passe dann schnell nicht mehr zu den Bildern, die uns dazu gezeigt werden, was den Hörgenuss dementsprechend einschränken würde. Das sei jedoch nur seine persönliche Meinung und er könne damit auch völlig falsch liegen, so Zeilinger.

Land Salzburg/Neumayr/Leopold

Bundespräsident Alexander Van der Bellen

In seiner Festrede zur Eröffnung der Salzburger Festspiele betonte Bundespräsident Alexander Van der Bellen die Bedeutung dieses kulturellen Ereignisses als Fixpunkt im Leben der Gesellschaft. „Die Salzburger Festspiele sind auch immer wieder eine gute Möglichkeit, sich aus dem Alltag zu lösen und den Blick auf die größeren Zusammenhänge zu richten.“, so Van der Bellen. Er ermutigte die Zuhörer dazu, optimistisch zu sein und sich auf konkrete Beispiele und Fakten zu stützen, um Herausforderungen anzugehen. Der Präsident betonte die Wichtigkeit von Toleranz und respektvollem Umgang in einer liberalen Demokratie und forderte die Menschen auf, ihre Filterblasen zu durchbrechen und miteinander zu kommunizieren. Dieses Mal jedoch weniger mit den allbekannten und auch hier erwarteten „mahnenden Worten“. Diesmal vielmehr mit dem praktischen Beispiel von Social Media. Social Media, das genau für diese „Bubble“ steht in der wir uns befinden und bewegen, die Augen verschließend vor andersdenkenden Menschen. Menschen, die anders leben, andere Einstellungen und Werte vertreten. „Wieso nicht einmal die Algorithmen verwirren, indem wir auch denen „followen“, deren Meinung vielleicht nicht so ganz unserer Meinung entspricht? Auf diese Art bekommen wir dann auch Ausschnitte der Realität zu sehen, die wir anders nie zu Gesicht bekommen hätten. Und auf diese Art bekommen wir vielleicht auch wieder das Bild einer gemeinsamen Realität.“, so Van der Bellen. Um mit gutem Beispiel voranzugehen zückte er sogleich sein Handy und folgte Norbert Hofer auf Instagram. Er plädierte damit für einen lösungsorientierten Dialog, um gemeinsam das Beste für die Gesellschaft und Österreich zu erreichen. „Ich freue mich darauf. Ich freue mich auf diese Zukunft. Ich bin optimistisch. Ich kenne unser schönes Österreich und ich weiß, was wir miteinander alles erreichen können.“, so der Bundespräsident, bevor er die Festspiele 2023 dann schließlich offiziell für eröffnet erklärte.

Land Salzburg/Neumayr/Leopold

Mein Fazit

Nach all den Krisen, Kriegen, wirtschaftlichen Problemen, Umweltkatastrophen und Klimawandel ist es schön, wenn man dennoch in einer gewissen Art und Weise positiv in die Zukunft blicken kann und genau das war es, was all die Reden geeint hat – Zuversicht. Die brauchen wir auch weil Jammern und Kritisieren haben noch nie Probleme gelöst. Auch in schwierigen, herausfordernden Zeiten dürfen wir Spaß haben und Freude zeigen, so gut uns das auch gelingt. Ja, wir dürfen auch die Festspiele genießen.

Ein Genuss war bereits der Festakt. Unter der musikalischen Leitung des Dirigenten Roberto González-Monjas bewies das Mozarteumorchester Salzburg wieder einmal seine internationale Top-Leistung. Schön, dass man dem Orchester hier, mit den ausgewählten Stücken, die Möglichkeit bot, dies eindrucksvoll zu beweisen. Ich selbst habe mich immer wieder gewundert, warum man bisher nie Sänger oder Sängerinnen zu hören bekam bei dem Festakt. Dieses Jahr wurde mein Wunsch, mit dem Bariton Georg Nigl, nun endlich erfüllt.

Land Salzburg/Neumayr/Leopold
Land Salzburg/Neumayr/Leopold
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So strahlend, wie sich das Wetter vor der Felsenreitschule zeigte, zeigte sich das Programm hier drinnen. Ein wundervoller Start für diese Festspiele, ein starkes Zeichen für eine positive Zukunft.

Jetzt muss mir dann nur noch wer erklären, warum die Jedermann-Premiere und einige andere Aufführungen mittlerweile auch, bereits immer vor der offiziellen Eröffnung stattfinden. Das ist für mich immer ein wenig so, als ob man das Buffet bereits leeressen würde, bevor es eröffnet wurde. Aber das ist wieder eine andere Geschichte …

Auf dem Weg zur Eröffnung sind zwei Demonstranten hinter der Absperrung gestanden, die uns zugerufen haben: „Ja schon klar – ihr Reichen schauts euch gemütlich den Jedermann an, während wir uns nichts mehr leisten können.“ Sind die Festspiele tatsächlich nur für „die Reichen“? Das sehe ich absolut nicht so. Für mich ist es immer eine Frage, wie sehr interessiert mich Kunst und Kultur wirklich und was ist es mir wert? Das Festspielkarten nicht leistbar für das „normale Volk“ sind, lasse ich so nicht gelten. Bei Startpreisen von 15-20 Euro ist das zumindest für jeden leistbar, der oder die es auch wirklich will. 1-2 Packungen Zigaretten weniger, zweimal auf das Feierabendbier verzichtet und schon ist es möglich, eine Oper zu besuchen. Es ist, wie alles im Leben, eine Frage des Wollens. Vielleicht sollten wir alle die Dinge einmal aktiv angehen, versuchen Herausforderungen und Probleme zu lösen und nicht einfach nur zu schimpfen und zu jammern, oder ständig der Politik die Schuld zuweisen – auch wenn das halt bequemer ist. Egal, ob es die kleinen Dinge im Leben sind, oder auch unsere großen Herausforderungen. Ich sehe der Zukunft positiv entgegen und freue mich nun auf ein großartiges Festspielprogramm 2023. Es sind nämlich genau diese kleinen Freuden, wie wir uns selbst machen, die unser Leben wieder lebenswert machen. Wir müssen es nur tun.

Thomas Pail

© Thomas Pail
© Thomas Pail
© Thomas Pail

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